Eines der dunkelsten Kapitel in der europäischen und so auch deutschen Geschichte war das der Inquisition und Hexenverfolgung. Mecklenburg zählte in der frühen Neuzeit mit zu den deutschen Hochburgen der Hexenverfolgung. Zwischen dem ersten belegten Prozess, der 1336 in Kröpelin stattfand und dem letzten im Jahre 1709 in Schwechow bei Hagenow fanden an die 4.000 Prozesse statt. Damit hob sich Mecklenburg zahlenmäßig deutlich von seinen nordeuropäischen Nachbarn ab.
Schon 1487 erschien in Speyer mit dem Buch “Malleus Maleficarum”, dem sogenannten “Hexenhammer”, ein Regelwerk für die Verfolgung und Vernichtung der vermeintlichen Hexen. In Zeiten von Not, Seuchen, Krieg und schlechten Ernten - verbunden mit dem tief verwurzelten Aberglauben in der einfachen Bevölkerung kam es immer wieder zu Denunziationen, die in einem Hexenprozess endeten und zumeist den Tod der oder des Beschuldigten bedeuteten. Den größten Teil der Opfer machten Frauen aus; es gab aber auch Männer, die als “Zauberer” oder “Hexer” angeklagt und verurteilt wurden.
Der bekannteste Poeler Fall fällt in das Jahr 1698: Der Prozess gegen die Vorwerker Hirtentochter Lucie Bernitt.
In diesem Jahr klagten die zwei Poeler Bauern Peter Steinhagen und Christian Lembke Lucie der Hexerei an. Der Brandenhusener Oberschulze Peter Evers bat um Unterstützung durch einen kaiserlichen Notar, welcher daraufhin die Angeklagte verhörte. Bei einem zweiten Verhör war auch der Vogt des Heiligen-Geist-Hospital Lübeck zugegen, dem Brandenhusen als eines der “Lübischen Dörfer” gehörte. Aus den Verhörprotokollen erfährt man, dass “Lucie von Ansehen und Gebärden ein einfältiger Mensch sei, der aber seinen Verstand wohl wüßte zu gebrauchen”.
Das besondere an diesem Fall ist, das Lucie von Beginn der Verhöre an geständig war und auch keiner Folter unterzogen wurde. Auch bezichtigte sie andere Poeler der Hexerei, die ihre große Not hatten, ihrerseits die Anschuldigungen zu entkräften. In den Verhörprotokollen erfährt man, dass Lucie bei den Verhören oft ein seltsames Verhalten zeigte. So habe sie beispielsweise " ... mit dem Gesichte unordentliche Minen gemacht ... anfänglich mit starcken plinckenden Augen sich verstellet, mit den Lippen und dem Munde, alß wann sie eß auff der Zunge hätte, waß zu sagen, so gezogen, und geberdet, alß schluckte sie wieder waß herunter ..." Aus medizinischer Sicht sind das "Tics"; vielleicht litt Lucie unter einer Form der Epilepsie ohne Bewußtseinsverlust. Man bekommt ein Gefühl der Beklemmung, wenn man liest, wie Lucie sich immer tiefer in ihr Unglück redet und dem Todesurteil, das sie zunächst wohl gar nicht realisiert, nicht mehr entgehen kann. Nach dem Verhör und langer Beratung holten die Richter dann ein Gutachten der juristischen Fakultät Rostock ein, welches im Ergebnis den “Feuertod nach Stärkung durch das Abendmahl” empfahl. Als sie wenige Wochen später auf dem Scheiterhaufen verbrennt, stirbt keine "Hexe", sondern eine hilfs- und behandlungsbedürftige kranke Frau, die wie alle anderen Opfer unschuldig in die Mühlen der Inquisition geraten war!
Lucie Bernitt - in den Verhörprotokollen auch Bernit bzw. Bernith geschrieben - entstammte der uralten, heute längst ausgestorbenen Poeler Familie Bernitt und hier einem Zweig, der in Vorwerk ansässig war. Über ihre familiäre Herkunft ist bisher nur wenig bekannt: Ihr Vater war der Vorwerker Claus Bernitt und zum Zeitpunkt ihrer Verhaftung war die ledige Lucie 30 Jahre alt und lebte vermutlich in Brandenhusen. Hier wurde sie jedenfalls festgesetzt, verhört und letztlich auch hingerichtet. Sie ist wohl das bekannteste, aber bei weitem nicht das einzige Inquisitions-opfer auf Poel. So kam es zwischen 1592 und 1698 zu insgesamt 22 Anklagen gegen Poelerinnen und Poeler wegen angeblicher Zauberei bzw. Hexerei. Darunter war sogar eine ganze Familie! Für sechs Menschen endete die Anklage mit dem Tod, fünf von ihnen starben qualvoll auf dem Scheiterhaufen.
Requiescat in pace!