Die Insel Poel hat in ihrer jahrhundertelangen Geschichte immer wieder die Begehrlichkeiten fremder Mächte geweckt. Ein Grund hierfür war sicher die strategisch günstige Lage der Insel in der Wismarer Bucht. Beeinflusst durch Politik und Kriege nahm Poel lange eine Sonderrolle ein und entwickelte sich geschichtlich völlig anders als das mecklenburgische Festland. So war ein Teil der Insel über Jahrhunderte in Besitz der Lübecker Kirche und stand somit auch unter deren Einfluß. Auch der andere Inselteil entzog sich durch seine Entwicklung für lange Zeit weit-gehend bzw. völlig dem Einflußbereich der mecklenburgischen Herzöge. Poel war dadurch nicht nur geteilt, sondern gehörte für lange Zeit auch nicht zum Herzogtum Mecklenburg. Die Insel war faktisch Ausland.
Zur Vorgeschichte:
Im Jahr 1160 zieht Sachsenherzog Heinrich der Löwe gegen die Obodriten in den Krieg und besiegt diese. Niklot, der Fürst der Obodriten fällt im Kampf vor seiner Burg Werle. Es folgt die Christianisierung des Landes und 1163 unterstellt Heinrich die Insel Poel dem Bistum Lübeck und schenkt dem Domkapitel den Zehnten der gesamten Insel nebst dem Dorf Vera (= Fährdorf). Dass Poel gerade zum Bistum Lübeck kam. lag schlicht daran, dass das Bistum Mecklenburg, einfach ausgedrückt, noch nicht "fertig" war. 1167 erhält Niklots Sohn Pribislaw das nordwestliche Mecklenburg samt Poel als Lehen von Herzog Heinrich dem Löwen zurück, nachdem er sich mit diesem ausgesöhnt hat. Heinrich Borwin, der Sohn Pribislaws, beginnt dann ab etwa 1210 mit der Ansiedlung erster deutscher Siedler auf der bis dahin nur von Slawen bewohnten Insel. Neue Dörfer, wie Timmendorf, Weitendorf, Brandenhusen, Niendorf und Seedorf werden gegründet. Im 13. Jahrhundert war die Insel Poel noch Leib-gedinge der Mecklenburger Fürstinnen; d.h. sie erhielten alle Einkünfte der Insel. Am 22. November 1318 jedoch verkauft Heinrich II., Herr zu Mecklenburg (genannt der Löwe und Ur-Ur-Urenkel von Heinrich Borwin) die eine Hälfte der Insel an die Ritter Plessen und Preen und die andere Hälfte an die Ritter Stralendorf. Zudem verzichtet er mit dem Verkauf auf alle landes- und grundherrlichen Rechte.
Da das Lübecker Domkapitel bereits mit den Zehnten der Insel dotiert war, hatte es logischerweise auch ein großes Interesse, den Grundbesitz auf Poel zu erweitern. So kaufte es in den folgenden Jahren und Jahrzehnten einzelne oder mehrere Hufen und ganze Dörfer. Auch das Lübecker Johanniskloster und das Heilig-Geist-Hospital zu Lübeck erwarben nach und nach Grundbesitz auf Poel, bis die Lübecker Kirche am Ende des 14. Jahrhunderts den größten Teil der Insel in ihrem Besitz hatte. Doch bereits im 14. Jahrhundert versucht Herzog Albrecht II. von Mecklenburg, seine landes- und grundherrlichen Rechte auf Poel zurückzuerlangen und streitet bis 1461 mit dem Domkapitel. Schließlich muss der Papst vermitteln und der Streit endet mit einem Vergleich. Doch auch in den folgenden Jahrzehnten wird weiter fleißig gestritten.
Nachden 1549 die Reformation in Mecklenburg eingeführt wurde, bschlagnahmte Herzog Johann Albrecht I. von Mecklenburg alle geistigen Besitzungen auf Poel. Wieder wurde jahrzehntelang gestritten, bis das Lübecker Domkapitel 1598 einen Vergleich mit dem mecklenburgischen Herzog schließt und ihm in Folge seine Poeler Besitzungen mit allen Rechten verkauft. Ausgenommen hievon bleiben aber die vier Dörfer Brandenhusen, Seedorf, Weitendorf und Wangern, die weiterhin in Besitz des Lübecker Heilig-Geist-Hospitals bleiben. Als 1615 die Stralendorffs ihre letzten Rechte, die sich auf Poel bezogen, an Herzog Adolf Friedrich I. von Mecklenburg verkauften, hatte dieser - bis auf die vier "lübischen" Dörfer - seine landes- und grundherrlichen Rechte auf Poel wiedererlangt.
1618 bricht der Dreißigjährige Krieg aus und erreicht wenige Jahre später mit all seinem Schrecken auch Mecklenburg und Poel. 1627 ziehen sich die Dänen auf der Flucht vor der Kaiserlichen Armee unter Wallenstein nach Poel zurück und schiffen sich von dort aus ein. 1628 wird Wallenstein vom Kaiser zum neuen erblichen Herzog von Mecklenburg ernannt. 1631 kehren die zuvor des Landes verwiesenen Herzöge aber aus dem Exil zurück und übernehmen wieder die Herrschaft über Mecklenburg. 1635 besetzen die Schweden und 1638 wieder die Kaiserlichen die Insel.
„Der Galgenbaum“, aus dem 18-teiligen Radierzyklus „Die großen Schrecken des Krieges“, nach Jacques Callot (1632)
1648 erhält Schweden durch den Westfälischen Friedensvertrag die Stadt Wismar, das Amt Neukloster und Poel als Reichslehen. Davon aber ausdrücklich ausgenommen bleiben wieder die vier zum Heilig-Geist-Hospital gehörenden „Lübischen“ Dörfer Seedorf, Weitendorf, Brandenhusen und Wangern. Sie bleiben weiterhin unter Verwaltung des Vogteigerichts der Stadt Lübeck. Für den Rest der Insel beginnt die "Schwedenzeit".
Die Insel wird 1648 von der schwedischen Königin Christine an ihren späteren Nachfolger Carl X. Gustav verliehen. Später geht die Insel in Pfand-besitz des schwedischen Generalmajors Anton von Steinberg über. Selbst nie auf Poel wohnhaft, ließ er die Insel durch von ihm eingesetzte Amtmänner verwalten. Von den Amtmännern wird wenig Gutes berichtet. Die Schweden hatten an der Insel auch sonst wenig Interesse und man überließ die Poeler weitgehend sich selbst.
In den Jahrhunderten der Zugehörigkeit zum Heilig-Geist-Hospital Lübeck bildete sich im sogenannten “lübischen” Teil der Insel ein ganz eigenes Bauernrecht heraus, welches über Jahrhunderte unverändert blieb. So waren die “lübischen” Bauern freie Leute und niemandem untertan. Auch mussten sie keinerlei Hofdienste leisten und zahlten stets eine gleichbleibende Pacht für ihre Ländereien. Sie hatten eine eigene Verwaltung, unterstanden der Lübecker Gerichtsbarkeit und einen eigenen Oberschulzen, der in Brandenhusen saß.
Da die Poeler Bauern des schwedischen Teils der Insel nach dem Dreißigjährigen Krieg sich selbst überlassen wurden, bildete sich dort bis zur Einziehung durch die schwedische Krone 1694 ein Gewohnheitsrecht heraus, nachdem sie als freie Eigentümer ihrer Höfe galten. Dies wurde bei der Einziehung des Amtes sogar offiziell von der schwedischen Regierung anerkannt. Weiterhin hatten sich die Bauern des schwedischen Teils die durch Kriegseinwirkung wüst gewordenen Hufen zu ihren Höfen gelegt und diese dadurch erheblich vergrößert. Die Bauern der lübischen Dörfer konnten hingegen auf über 500 Jahre unverändertes Recht zurückschauen. Sie waren freie Leute, Eigentümer ihrer Höfe und zahlten weder Pacht für ihr Ackerland noch leisteten sie Hofdienste.
Seit 1719 verloren die mecklenburgischen Besitzungen für Schweden jedoch stark an Bedeutung. Die einstige Kriegs- und Seemacht hatte an Einfluß verloren und Schweden keine strategische Verwendung mehr für seine mecklenburgischen Besitzungen. Nach einigen erfolglosen Verhandlungen über einen Verkauf Wismars an Preußen dauerte es noch bis 1799, als wieder ernsthafte Verhandlungen über eine Rückgabe der schwedischen Besitzungen begannen. Diese endeten schlußendlich im Malmöer Pfandvertrag vom 26. Juni 1803. Dieser regelte die Rückgabe der Stadt Wismar und der Ämter Neukloster und Poel durch Schweden an Mecklenburg. Die Verhandlungen wurden für Schweden im wesentlichen durch Johann Christoph Baron von Toll geführt. Für den mecklenbugischen Herzog verhandelten Oberhofmeister August Baron von Lützow und Kammerdirektor Conrad Wilhelm Brüning. Der schwedische König ließ sich die Abstandnahme von seinen mecklenburgischen Besitzungen von Herzog Friedrich Franz I. mit 1.250.000 Talern Hamburg Banco bezahlen. Gustav IV. Adolf, der König von Schweden, ratifizierte den Vertrag von Malmö am 19. Juli, Friedrich Franz I., der Herzog zu Mecklenburg am 26. Juli 1803.
Friedrich Franz I., Herzog zu Mecklenburg zum Pfandvertrag von 1803 klicke hier! Gustav IV. Adolf, König von Schweden
Mecklenburg nahm die Gebiete zunächst auf 99 Jahre als Pfand in Besitz und erst hundert Jahre später am 20. Juni 1903 wurde die Sache durch einen weiteren Vertrag zwischen Mecklenburg und Schweden endgültig erledigt, so dass Wismar mit der Insel Poel und dem Amt Neukloster nach einer entsprechenden Verzichtserklärung Schwedens auf bestehende weitergehende vertragliche Rechte wieder endgültig mecklenburgisch wurde. Am 19. August 1903 nahm Großherzog Friedrich Franz IV., begleitet von großen Feierlichkeiten zur "Hundertjahrfeier" in Wismar die Stadt wieder für Mecklenburg ein. Die Pastoren der jeweiligen Gemeinden nahmen an dem Festgottesdienst in der Wismarer St. Georgenkiche teil und wurden dem Großherzog vorgestellt. An den Feierlichkeiten nahm auch eine Delegation von Poelern teil.
Friedrich Franz VI., Herzog zu Mecklenburg zum Vertrag von 1903 klicke hier! Oskar II., König von Schweden
Grundlegende Veränderungen brachte das Jahr 1803 aber auch für die Bauern der "Lübischen Dörfer". Als der mecklenburgische Herzog Friedrich Franz I. auf dem Regensburger Reichs-Deputations-Hauptschluß 1803 die “lübischen” Dorfer zugesprochen bekam, versicherte er den nun ehemaligen lübischen Bauern zwar die Wahrung der alten Rechte und Abgaben, legte ihnen aber bald die mecklenburgische Hufensteuer auf und brach somit sein Wort. Daraufhin klagten die Bauern 1806 vor dem Reichkammergericht, dass ihnen nach langer Prüfung Recht gab und die Erhöhung der Abgaben verbot. Bevor dieses Urteil jedoch rechtskräftig werden konnte, zerfiel unter Napoleon das “Heilige Römische Reich Deutscher Nation” und das Reichskammergericht wurde aufgelöst. In den folgenden Jahren nahmen die lübischen Bauern zähneknirschend die Situation hin und zahlten die Hufensteuer, bis der Herzog 1818 die Salzquote bzw. das sog. “Salzgeld” einführte, welches der Förderung der Herzoglichen Saline in Sülze dienen sollte. Die lübischen Bauern weigerten sich daraufhin, das Salz anzunehmen wie auch die Ersatzzahlungen bei Nichtabnahme des Salzes zu zahlen. Sie argumentierten zurecht, dass diese neue Abgabe ein Verstoß gegen die alten Rechte war. Nachdem das Salzgeld 1824 durch Exekution von den Höfen eingetrieben wurde, rollten die lübischen Bauern den alten Prozess von 1806 wieder auf. Es folgten einige Jahre zäher Verhandlungen, bei denen die herzogliche Kammer auf Zeit spielte, den Prozess verschleppte und die Geduld wie auch die finanziellen Möglichkeiten der lübischen Bauern arg strapazierte. So stritt man ganze drei Jahre nur darum, welches Gericht für die Bauern zuständig sei, weitere Jahre gingen ins Land, in denen gestritten wurde, ob nun ein neuer Prozess nötig sei oder der alte wieder aufgerollt werden sollte. Obwohl die lübischen Bauern in einer weit ungünstigeren Position waren wie noch zu Beginn vor dem Reichskammergericht, blieben sie doch hartnäckig und geradezu stur und versuchten in den folgenden Jahren durch alle Instanzen, ihr Recht zu wahren.
Die Seele des Poeler Widerstandes war Hans Jacob Steinhagen, dessen Hof, der Neuhof bei Seedorf etwas höher als die übrigen Höfe lag, was ihm wohl den Spitznamen “Hans von Baben” einbrachte. Er vor allem war es, der den Prozess um die Anerkennung der Höfe als Eigentum vorantrieb und zu seinem Lebensinhalt machte, wobei er weder Kosten noch Mühen scheute. Letztlich kamen die Prozesse (es ging u. a. auch um das Jagd-recht) nach mehr als 70 Jahren und längerem Stillstand 1874 wieder in Gang und fanden ihren Abschluß im Januar 1877, als im Fürstensaal zu Wismar die lübischen Bauern durch Urkunde und Unterschrift als Eigen-tümer ihrer Höfe anerkannt wurden. Hans von Baben erlebte so noch kurz vor seinem Tod (er starb im selben Jahr), dass sein Sohn Hans Peter amtlich anerkannter Eigentümer seines Hofes wurde.
Ansichtskarte, herausgegeben 1903 anlässlich der endgültigen Rückgabe Poels an Mecklenburg
Die Reiter der Poeler Delegation anlässlich der Feierlichkeiten im Jahr 1903 (Foto: Inselmuseum Poel)
Von links nach rechts: Schmiedemeister Paul Wilcken (Kirchdorf), Schmiedemeister Schiller (Kirchdorf), Hans Lembke (Malchow), Andreas Vieth (Malchow), in der Mitte sitzend Oberschulze Gustav Lembke (Fährdorf), Gustav Ragotzky (Timmendorf), Paul Steinhagen, Gustav Beyer (Timmendorf), Gustav Wegener (Fährdorf), Hugo Evers (Fährdorf)