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Zeitzeugen 

1933 - 1945 Zeitzeugen berichten

Irmgard Lehmbecker, geb. Schulz, Tochter eines Fährdorfer Gutsbesitzers ließ mir ihre Erinnerungen an das Kriegsende ebenfalls per E-Mail zukommen:

Meine Erinnerungen an 1945  

Mein Vater war als Reserveoffizier in Schwerin und konnte zum Wochenende nach Hause kommen. Dass bedrohliche Zeiten bevorstanden, war mir bewusst. Im Laufe der vergangenen Monate hatten wir viele Menschen in unserem Hause aufgenommen. Verwandte aus dem Osten und natürlich kamen auch Flüchtlingstrecks, die teils weiterzogen, oder auch dablieben. Jedenfalls war das Haus voll. Mein Vater plante, auch einen Treck auszurichten. Ein Gummiwagen – oder waren es zwei ? - wurden beladen mit Nahrungsmitteln, jede Menge Gepäck und über die Ladefläche Teppiche gespannt als Dach. Wir waren sehr warm angezogen, wohl auch, um mehr Kleidung mitzubekommen, und ich fand das alles sehr spannend und wartete darauf, dass es losginge. Dann aber wurde alles abgeblasen. Leider weiß ich nicht, warum.

Etwa 2 Tage später verließ doch ein Treck unseren Hof. Meine Eltern, meine kleine Schwester und ich (die vierte) blieben auf dem Hof.

Vor allem unsere Verwandten drangen darauf, wegzukommen, vielleicht auch noch andere Flüchtlinge. Meine drei älteren Schwestern sowie zwei junge Offiziere, die sich zur Erholung nach einer Verwundung in Fährdorf aufhielten, sollten vor den Russen in Sicherheit gebracht werden. Das muss wohl Ende April/Anfang Mai 1945 gewesen sein.

Ein schlimmes Erlebnis war dann, dass die Polen (es waren wohl Kriegsgefangene, die in der Landwirtschaft gearbeitet hatten) kamen und Essen und Trinken forderten. Meine Mutter musste Spiegeleier in Massen braten. Bald waren die Eindringlinge betrunken, so dass meine Eltern das Haus verließen und sich – wie wir Kinder – auf dem Heuboden versteckten. Was wir nach Abzug der Meute vorfanden war geradezu schrecklich. Alles durcheinander gewühlt, große Spiegel zerschlagen, Schüsse in die Wanduhr und die Wände, vieles zerstört oder mitgenommen.

Wie dann unser tägliches Leben verlief, weiß ich nicht mehr. Mein Vater wird sich so normal wie möglich der Landwirtschaft gewidmet haben.

Das Haus war immer noch von Flüchtlingen gefüllt, jeder hatte nur die nötigsten Räume zur Verfügung.

An den ersten Kontakt mit Russen kann ich mich auch nicht mehr erinnern, wohl spürte ich das Aufregende und auch Angst, sicher durch Gerüchte hervorgerufen. Immer noch die dumpfe Spannung oder Angst bei jedem Auto, das auf den Hof kam.

Im Laufe des Sommers wurden wir immer wieder von Russen heimgesucht. Manchmal war der Kommandant dabei, eine Zeit lang war es ein sympathischer Mann, mit dem sich mein Vater länger unterhielt. Wie??? Das kann ich nicht sagen.

Oftmals durchsuchten die Russen das ganze Haus oder forschten auch im Garten nach vergrabenen Gegenständen, indem sie mit Säbeln, Degen oder anderen spitzen Gegenständen in den Boden piekten. Jeder Russenbesuch löste natürlich bei den Frauen Angst aus. Sie versteckten sich, um Vergewaltigungen zu entgehen. Einmal liefen wir mit meiner Mutter durch den Garten weiter in ein Luzernefeld. Meine kleine Schwester blieb nahe bei ihr und machte Geschrei, was die Russen veranlasste, sich abzuwenden. Man sagte, sie seien kinderlieb und kleine Kinder seien der beste Schutz.

Aufregend waren die nächtlichen „Besuche“. Sie drangen auch gewaltsam ins Haus ein und hantierten mit Waffen vor unserer verschlossenen Schlafzimmertür.

An einem sonnigen Septembertag kamen wieder einmal die Russen und durchsuchten Haus und Garten, und dann schließlich hieß es, sie würden meinen Vater mit nach Kirchdorf nehmen. So geschah es, und ich sehe uns, noch am Nachmittag an der Straße, die von Kirchdorf nach Fährdorf führt, auf die Rückkehr meines Vaters warten. Es kam schließlich eine große Kolonne von Männern, bewacht von Russen, zu Fuß – sie waren auf dem Weg nach Wismar – mein Vater in einer der ersten Reihen uns zuversichtlich zuwinkend, und wir konnten ihm noch einen frisch gebackenen Kuchen zustecken. Daraus schließe ich, dass meine Mutter wohl doch mit einer regelrechten Verhaftung gerechnet hat. Tagelang hielten wir nach ihm Ausschau, aber vergeblich. Irgendwie erhielt meine Mutter Kenntnis, dass er dann in Schwerin und schließlich in Neubrandenburg in dem Lager Fünfeichen gelandet war, wo er 1948 verstarb, was wir nie von offizieller Seite erfuhren.

Vor einigen Jahren besuchten wir einen ehemaligen Flüchtling, der in Fährdorf gelandet war und als Landarbeiter oder auch Siedler immer dort geblieben ist, dass der Wirt der Gastwirtschaft im Dorf meinen Vater denunziert haben soll.

Mittlerweile kam die Aktion der Enteignungen in Gang. Meine Mutter wurde gebeten, noch irgendwelche Aufgaben in der Betriebsführung zu übernehmen, so dass sich unsere Vertreibung noch bis Ende Oktober/Anfang November verzögerte, und wir durften zwei Gummiwagen voll Möbel etc. mitnehmen. Ich denke es waren unsere Arbeiter, die uns halfen, die Wagen zu beladen, und so verließen wir Fährdorf und fanden Aufnahme bei Freunden, der Weinhandlung Michaelis in Wismar. Dort war Platz für uns und unsere Sachen.

Doch nach vier Wochen, als das Gerücht kursierte, dass die enteigneten Gutsbesitzer nach Thüringen, in Wirklichkeit aber nach Sibirien umgesiedelt werden sollten, schlossen wir uns einer Gruppe von Leidensgenossen an und flohen unter abenteuerlichen Bedingungen nachts zu Fuß bei Schönberg durch die Palinger Heide in den Westen.

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