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Zeitzeugen 

1933 - 1945 Zeitzeugen berichten

Joachim Saegebarth, Oberstudienrat i. R. und Heimatforscher war zwar kein Augenzeuge der Poeler Geschehnisse bei Kriegsende; er gibt aber in einem 1998 im “Poeler Inselblatt” erschienenen Artikel eine gute, von ihm recherchierte Gesamt-Beschreibung der damaligen Umstände:

Das Ende des Krieges auf der Insel Poel  

- von Joachim Saegebarth -

“Anfang Mai 1945 zeichnete sich auch für die Menschen auf Poel das Ende des II. Weltkrieges ab. Die Einwohnerzahl hatte sich durch Ausgebombte und Flüchtlinge bereits erhöht. Die Front rückte von zwei Seiten immer näher. Am Vormittag des 2. Mai hatten amerikanische Panzer Schwerin erreicht. Britische Panzer waren in Bobitz, und Rostock war am 1. Mai von den Sowjets besetzt. Am 2. Mai war dann auch Wismar von britisch-kanadisch-amerikanischen Truppen besetzt worden, die am 3. Mai in Richtung Grevesmühlen-Dassow weiterrückten. Sowjetische Panzer hatten, von Güstrow kommend, die Ostsee erreicht und nahmen am Abend des 2. Mai südöstlich von Wismar Verbindung mit den Westalliierten auf.  

Die Demarkationslinie zwischen den Westalliierten und den Sowjets, die bis zum Abzug der Engländer am 1. Juli 1945 bestand, verlief von Hohen Viecheln über Schimm-Levetzow-Kritzowburg-Gagzow nach Dorf-Redentin-Fischkaten.

Aus diesen Tagen gibt es einige Berichte von Augenzeugen, die sich besonders auf die Vorgänge um die Flucht des Gauleiters und Reichsstatthalters von Mecklenburg, Hildebrandt, beziehen. So wurde mir erzählt, daß Poeler Einwohner, die Kenntnis von dem Vorhaben Hildebrandts hatten, sich über Poel nach Schleswig-Holstein abzusetzen, die Brücke sperren wollten. Der Gauleiter sei aber in einem Feuerwehrauto, das mit Sondersignal von Groß Strömkendorf kam, durchgefahren. Mehrfach wurde erzählt, daß Hildebrandt sich dann im Kurhaus am Schwarzen Busch aufgehalten habe. Das Kurhaus war nach dem Verkauf durch die Familie Grahl in den Besitz einer nationalsozialistischen Organisation übergegangen. Nach weiteren Berichten sei er von dort am Strand entlang zum Timmendorfer Hafen gekommen, von wo er mit dem dort stationierten Zollkreuzer abgefahren sei. Er wurde später von den Engländern in Schleswig-Holstein verhaftet, zum Tode verurteilt und hingerichtet.

Weiter gibt es Berichte, daß es am Kirchdorfer Hafen zu einer tätlichen Auseinandersetzung zwischen dem Wismarer Kreisleiter Ohl und dem Fotografen Heinrich kam. Heinrich, der kriegsverwundet war, hatte in der Wismarschen Straße ein kleines Geschäft. Er wollte die Vorgänge fotografieren und wurde dabei von Ohl mit der Pistole bedroht. Der Kreisleiter zog aber dabei den kürzeren. Zu diesen letzten Kampftagen ist auch immer wieder die Rede von Einsätzen anglo-amerikanischer Tiefflieger. So wurde vor Timmendorf der Poeler Dampfer ,,Seeadler II" versenkt. Unklar ist das genaue Datum, an dem die Truppen der Roten Armee die Insel besetzten. Sie kamen mit pferdebespannten Wagen auf die Insel, entweder schon am 3. oder am 4. Mai. In Timmendorf Strand mußten die Lotsen-Familien innerhalb von zwei Stunden die Wohnungen im Leuchtturmhaus verlassen. das als Truppenunterkunft eingerichtet wurde. Mir liegt ein Foto vor, das auf dem Erkerausbau des Wachlotsen einen aus Holz gefertigten Beobachtungsstand zeigt. Die Soldaten begannen, auf den Steilküsten bei Timmendorf, Neuhof und im Norden der Insel Schützengräben auszuheben, die bis in die sechziger Jahre, als die Waldstreifen gepflanzt wurden, zu erkennen waren. Später errichteten die sowjetischen Soldaten im Schwarzen Busch Unterkunftsbaracken, die dann von der Grenzpolizei übernommen wurden. Diese hatten ihre erste Unterkunft, samt Pferdestall, im Zollhaus in Kirchdorf. Bekannt ist auch, daß sich viele Frauen und Mädchen im Neuhofer Bruch und an anderen Stellen vor den Nachstellungen der sowjetischen Soldaten versteckten. Die Gaststätte Völter war mit Flüchtlingen belegt. Die vielen Zuflucht suchenden Menschen, die mit ihren Trecks oder mit der Eisenbahn bis Wismar gekommen waren, bekamen bei vielen Familien Unterkunft zugewiesen. Die Einwohnerzahl der Insel stieg von 1895 im Jahr 1939 auf geschätzte 4600 im Jahr 1946. Im Oktober 1945 wurde die Bodenreform durchgeführt. Die enteigneten Besitzer mußten die Insel verlassen, obwohl in einigen Fällen, wie auf dem Hof der Familie Wegener, die Siedler dafür eintraten, daß sie bleiben sollten. Von den 260 Neubauern, die Siedlungsland erhielten, waren 142 Flüchtlingsfamilien, die nach den Aufteilungsunterlagen vorwiegend aus Ostpreußen und Hinterpommern, weniger aus Westpreußen und Schlesien kamen.

Die Zeit von 1945 bis 1946 wurde dann durch den herrschenden Hunger, die Armut und das Elend unter den Menschen besonders schwer. Die Probleme, die für die vielen arbeits- und wohnungslosen Familien im Vordergrund standen, waren die Beschaffung von Nahrung, von Heizmaterial, von Schuhen und Bekleidung. Ausbrechende Krankheiten, wie Krätze, Hungertyphus u.a. forderten viele Opfer. Erst vor kurzem wurde auf dem Friedhof an der Wismarschen Straße das Feld, auf dem die Typhustoten beerdigt wurden, eingeebnet. Die Schule II (Sigglow-Schule; heute Fremdenverkehrsamt) wurde zur Seuchenstation: Dort betreuten Frau Dr. Rüther-Haland und Schwester Lydia Reimer mit großem persönlichen Einsatz die Kranken.” 

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