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Zeitzeugen 

1933 - 1945 Zeitzeugen berichten

Bärbel Strehli, geb. Arndt aus Chicago stellte die Tagebuchaufzeichnungen ihrer Mutter aus dem Jahr 1945 der Redaktion des “Poeler Inselblatt zur Verfügung, in welchem diese 1993 in mehreren Teilen erschienen:

Aus dem Tagebuch einer Mutter:  

5.3.1945: Flucht aus Stresane um 7 Uhr morgens. Auf Pauls Schweinewagen mit 5 Kindern Richtung Swinemünde Großoma und Großtante.  

10.03.1945: Wir gingen zum Swinemünder Bahnhof, um mit dem Flüchtlingszug nach Rostock und weiter nach Poel zu fahren. Eineinhalb Tage im Zug gesessen. Einen unaussprechlich erschreckenden Fliegarangriff auf Bahnhof und angrenzenden Hafen heil überstanden. Hunderte Mitmenschen kamen um.

15.03.1945: Durch Glück einen LKW bekommen, der um 14:00 Uhr nach Wismar fuhr. Wir kamen um 9:00 Uhr an. Benachrichtigte Herrn Falk, der uns per Fuhrwerk abholte. Nach zweistündiger Fahrt erreichten wir Insel Poel. Durchgefroren und müde gingen wir nach liebevoller Bewirtung in unser 3-Bettenzimmer, unser neues Zuhause für 3 Erwachsene und 5 Kinder.

17.3.1945: Große Einkäufe gemacht, da Herr Falk so freundlich war und uns neue Lebensmittelkarten besorgte.

1.4.1945: Großer Waschtag von 3:30 Uhr früh. Bis zum Mittag war alles auf der Leine. Danach sägen unseres Flüchtlingsholzes.

2.5.1945: In den vergangenen Tagen sind alle Inselbewohner voller Spannung, ob die Russen oder die Amerikaner nach Wismar und Poel kommen. 

3.5.1945: Es heißt, die Amerikaner haben Wismar besetzt. Am Ortseingang wehte eine weiße Fahne und im Laufe des Vormittags mußten alle auf Anordnung des Bürgermeisters aus ihren Häusem weiße Fahnen hängen.  

4.5.1945: Nachmittags gegen 2 Uhr kommen zu unser aller Schrecken russische Panzer und Lastautos auf die Insel. Die Russen fielen gleich plündernd über Hab und Gut der Inselbewohner her.

8.5.1945: Haben in den vergangenen Tagen unsagbare Angst vor den Russen gehabt, viel Schauriges mit der Frauenverfolgung und Plünderung erlebt. Die erste Nacht bei der anderen Flüchtlingsfamilie im Falkschen Haus auf dem Fußboden schlafend verbracht und heute grausames Schreien von den Frauen, die im anderen Klassenzimmer untergebracht waren. Gingen in den nächsten Nächten oft nach Gollwitz, um sie in den Rapsfeldern oder auf der Möweninsel zu verbringen. Regen, Gewitter und Kugelpfeifen um uns herum.

11.5.1945: Von der Möweninsel verjagt von jungen Russen - bei Bauern in Gollwitz übernachtet.

17.5.1945: Die verflossenen Tage waren stiller - Russen kamen und gingen weg – wurden aber nicht weniger. Seit die Russen hier sind, bekommen wir weder Butter noch Milch - nur 1 Brot pro Woche und Person. Wenig Fleisch.

23.5.1945: Gingen mit den 3 großen Kindern zur Möweninsel. Brachten 65 zerdrückte Möweneier nach Hause.

24.5.1945: Zurück zur Möweninsel um 6 Uhr in der Früh. Fanden 39 Eier. Wollten gerade zum letzten Mal die Insel absuchen, als Russen kamen und uns alle Eier -außer 6-, die die Kinder in ihre Taschen gesteckt hatten, abnahmen.

26.5.1945: 20 Russenwagen kamen heute auf die Insel und fuhren in Richtung Schwarzer Busch.

31.5. 1945: Die 3 Großen zur Möweninsel – brachten nur 6 Eier mit. Am Nachmittag machten wir aus 600 Kartoffeln Schnitzel, die wir trocknen müssen und dann den Russen abzuliefern haben.

5.6.1945: Heute gab es zu unserer großen Freude die ersten 100 Gramm Butter pro Person seit sechs Wochen.

6.6.1945: Jeden zweiten Tag haben wir nun getrocknete Schnitzel an die Russen abzuliefern. Um 5.30 Uhr zur Möweninsel - 20 Eier gefunden. Am nächsten Tag waren Posten, die keinen mehr rüberließen. da die Russen die Eier selhst brauchten.

8. bis 23.6. 1945: Tage vergingen mit Waschen, Gartenarbeit, Nähen. Holz sägen, hacken und aufbauen.

26.6.1945: Heute vormittag bis zum Mittag in der hiesigen Gärtnerei gearbeitet, urn ein paar Tabakpflanzen zu erhalten. Bekam auch tatsächlich zwei Stück und ein Liter Vollmilch.

21.6.1945: Habe heute vormittag bei 6 Menschen um Waschmittel angehalten und gebeten. Ich habe mich angeboten dafür zu arbeiten – aber alles ohne Erfolg.

28.6.1945: Sehr viel Regen in den letzten Tagen; mit Schrecken denke ich an die Möglichkeit eines Winteraufenthaltes mit 16 Personen in dem sonst so stillen Schulhaus.

30.6.1945: In Brandenhusen Schoten gepflückt.

2. Juli 1945: Ging heute ganz alleine auf das wunderschöne Gut Neuhof, um Schoten, Möhren und Kohlrabi zu pflücken und zu kaufen.

4. Juli 1945: Einen Besuch in Malchow bei Herrn Dr. Lembke gemacht.

5. Juli 1945: Wieder einmal, wie schon seit mehreren Wochen, in blankem Wasser Wäsche gewaschen und habe mich recht geschämt, die so eingegraute Wäsche auf die Leine zu hängen. Ich verstehe nicht, wie andere Leute, die noch über gute Seife und Persil verfügen, so grausam sein können und es mit ansehen, wie ich die Wäsche für fünf Kinder, die alte Tante und mich selbst ohne Waschmittel sauber bekommen soll.

7. Juli 1945: Gestern klagte ich über die Unbarmherzigkeit der Mitmenschen und bekam heute von einem lettischen Flüchtling ein Stück Kemseife und einen Klumpen Soda geschenkt. In Brandenhusen bei Kleingarn's Obst und Johannesbeeren gepflückt. Zusammen mit Freunden gehackt und nun haben wir einen kleinen Vorrat.

8. Juli 1945: Mit den Kindern nach Wangern gewandert zu Pauls Geburtstag.

14. Juli 1945: Endlich seit Wochen 4 Karten von Gerhard erhalten. Habe vor Freude, daß er lebt, mit den Kindern geweint.

15. Juli 1945: Herr Falk's Geburtstag - ein heißer Tag. Die Kinder an den Kirchwällen zum Baden.

18.Juli 1945: Vor der Abendandacht mit Pastor Pohl zurückkommend wurde bekannt gegeben, daß für alle Flüchtlinge, die in keinem Arbeitsverhältnis stehen und dadurch kein neues Wohnrecht erworben haben, angeordnet wurde, in die alte Heimat zurückzukehren. Wir sind sehr beunruhigt. Wie sehr brauche ich nun meinen Mann als Stütze an meiner Seite.

20. Juli 1945: Aus Angst, von der Insel gehen zu müssen. packe ich vorsichtshalber unsere Koffer.

21.Juli.1945: Heute haben wir bei Frl. Thiessen auf Oertzenhof ein Arbeitsverhältnis ausgearbeitet. Elisabeth und ich arbeiten nun abwechslend eine Woche auf den Feldern. Wir brauchen die Insel nicht zu verlassen und können hier auf unseren Papa warten.

25.Juli 1945: Heute fuhr ich ohne Passierschein mit dem Treckwagen nach Wismar und kam glücklich durch die drei Sperren. lch sah da auf einmal, voller Glück, mein Gerhardlein nebst Kameraden auf einem entgegenkommenden Wagen.

Mit großer Mühe gelang es dem Kutscher, Gerhard unter dem Stroh zu verstecken. Und da ich keinen Passierschein hatte, gab es Schwierigkeiten. Aber der Kutscher sprach russisch und so gelang es uns wieder zur lnsel zu kommen. Und die Freude über den Papa und ihn nun behalten zu können war bei groß und klein, besonders bei mir ganz unvorstellbar groß.

26.Juli 1945: Frl. Thiessen brachte Gerhard als Arbeitskraft unter und somit konnte er auf der Insel bleiben. Brachte heute den ersten Liter erarbeitete Vollmilch herein.

31. Juli 1945: Mein Arbeitstag auf Oertzenhof bringt mir ein Liter Vollmilch, Mittagessen und Abendbrot und drei DM Tageslohn ein – wie froh bin ich.

3. August 1945: Herr Falck wurde am Nachmittag von der G.P. abgeführt. Wie grausam.

9. August 1945: Wir bekamen Nachricht, daß wir Aussicht auf eine größere 2-Zimmerwohnung im Gutshaus in Oertzenhof bekommen. Frl. Thiessen wurde über Nacht von dem schönen Gut verwiesen. Welche Ungerechtigkeiten doch herrschen.

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